Ehrenamts-Adventskalender: 07.Dezember 2020
„Das verändert den Blick auf die Welt.“
Johanna Esser, Reichshof
An Dienstagnachmittagen nimmt sie sich nichts vor. Denn da hat Johanna Esser eine feste Verabredung. Pünktlich um 14 Uhr ruft sie eine alte Dame an, um ihr Telefonzeit zu schenken. Ein Ehrenamt, das das Gefühl von Einsamkeit zwar nicht für immer wegzaubern kann. Das aber sehr wohl den Alltag bereichert – und das an beiden Enden der Leitung.
Zustande gekommen ist der Kontakt über Evelin Bottenberg, Koordinatorin des Telefonbesuchsdienstes des Malteser Hilfsdienstes im Oberbergischen Kreis. Hier hat sich Johanna Esser für ein Ehrenamt gemeldet. Und weil eine besondere Aufgabe mit dem nötigen Wissen besser funktioniert, hat sie bei den Maltesern an einer entsprechenden Schulung teilgenommen. Hier hat man ihr die wichtigsten Grundsätze für den Telefonbesuchsdienst vermittelt. Dass zum Schutz aller Beteiligten weder Telefonnummer noch Nachname der Ehrenamtlichen bekannt gemacht werden. „Das soll mir bei der Abgrenzung helfen“, erklärt sie. Außerdem hat sie gelernt, die Telefonate so zu gestalten, dass sie Dialoge sind und nicht Monologe der Betreuerin. Und ganz wichtig: Sollte sie Anzeichen von Demenz oder Neigung zum Suizid feststellen, ist das sofort an die Koordinatorin zu melden. Damit sie und ihre Gesprächspartnerin Hilfe bekommen, wenn Hilfe nötig wird.
Ein besonderes Arrangement also, das anfangs sowohl Johanna Esser als auch die alte Dame skeptisch machte. Doch bereits das erste Gespräch war ein voller Erfolg. „Eigentlich wollten wir nur eine Zeit ausmachen, um dann in Ruhe zu telefonieren“, erinnert sich die Rentnerin aus Reichshof. „und schon dabei sind wir so richtig ins Quatschen gekommen.“
Glücklicherweise ist es seitdem genauso weitergegangen. „Wir freuen uns jede Woche auf unser Gespräch“, sagt Johanna Esser. Worüber sie reden? Über vieles, und jede Woche über etwas anderes. Die alte Dame erzählt sowohl von früheren Reisen und vergangenen Erlebnissen als auch vom jetzigen Alltag. Manchmal wehmütig von den Möglichkeiten, die sie nicht mehr hat. Und davon, dass sie den Austausch mit Gleichaltrigen vermisst – das gemeinsame Erinnern. Wenn man über 90 Jahre alt ist, sind viele Wegbegleiter gestorben. Mit ihren 67 Jahren kann Johanna Esser diese zwar nicht ersetzen, aber sie kann zuhören, Zeit schenken.
Und sich von den Gesprächen bereichern lassen. „In den Telefonaten bekomme ich eine ganz neue Sicht auf Dinge!“, strahlt sie.
Auch zum Beispiel im Hinblick auf die Einschränkungen in Zeiten von Corona. Einschränkungen, die auch ihre reiselustige Gesprächspartnerin treffen. Doch die nimmt es gelassen, kann jedoch die heftigen Reaktionen der jungen Menschen oder gar der querdenkenden Demonstranten nicht verstehen. „Wer so alt ist, hat ganz andere Einschränkungen im Leben hinnehmen müssen“, weiß Johanna Esser. „Das verändert den Blick auf die Welt.“
Weitere Informationen:
https://www.hospizarbeit-wiehl.de
Letzte Änderung: 6. Dezember 2020